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Aktuelles aus dem Kreisverband

Die digitale Welt erschwert die Hilfe für Wohnungslose und Schuldner

Was steckt hinter dem QR-Code? Das Team des AWO SozialService vermisst den persönlichen Kontakt zu Klienten und Behörden. Ihr Fazit: In der digitalen Welt wird die unterstützende Hilfe immer schwieriger und anonymer.

Landkreis – Corona, der Ukraine-Krieg, Inflation und Zukunftsfragen beschäftigen die Menschen. Ganz oben steht die Angst, mit den steigenden Kosten die Wohnung zu verlieren oder in den Schulden zu versinken. Entsprechend groß ist die Zahl der Anfragen bei der AWO Wohnungsnotfallhilfe und der Schuldnerberatung des Landkreises München. Im vergangenen Jahr haben 2.429 Bürger, darunter 376 Kinder, den Kontakt gesucht, um sich wegen drohenden Verlusts der Wohnung beraten lassen, wie aus der Statistik hervorgeht. 362 suchten Hilfe in der Schuldnerberatung.

 

225 Landkreis-Bürger*innen, darunter 76 Kinder, mussten 2022 als obdachlos eingewiesen werden. Um sie nimmt sich die AWO Wohnungslosenberatung an, die in drei Verbünden mit 22 Gemeinden einen Vertrag geschlossen hat. Bis zum Ende des Jahres konnten 94 von ihnen – das sind 42 Prozent – die Notunterkunft wieder verlassen. 46 Prozent davon bezogen eine Wohnung mit Mietvertag, 15 Prozent eine
Sozial-/Gemeindewohnung, vier Prozent kamen in eine stationäre Einrichtung oder ins Seniorenheim.

 

2012 hatten 26 Prozent der Bürger, deren Wohnraum damals gefährdet war, eigene Einnahmen wie Rente oder Arbeitslohn, waren als Selbstständige beschäftigt oder verfügten über Lohn mit ergänzenden Leistungen. Heute trifft das bereits auf 55 Prozent der Hilfesuchenden zu.

 

Schöne neue Welt mit QR-Code

Stark zugenommen hat vor allem in der Corona-Zeit die digitale Beratung und die Hilfe am Telefon. Sie macht mehr als die Hälfte der Beratungen aus. Stefan Wallner, Leiter der Wohnungsnotfallhilfe, sieht das skeptisch. „Wie kann ich den Menschen und seine Probleme im Internet oder am Telefon einschätzen?“ fragt Wallner. „Wie erkenne ich am Telefon einen Messi? Wie stelle ich fest, ob ein Ratsuchender Trinker ist?“ Und wie einem Hilfesuchenden den QR-Code erklären, mit dem er sich Formulare herunterladen kann?

 

Hinzu kommt das Pingpong-Spiel mit den Behörden. Wallner: „Wo früher im persönlichen Gespräch die Probleme erörtert und gemeinsam gelöst wurden, verschwinden sie heute im digitalen Nirwana. Antragsformulare werden ausgefüllt, losgeschickt und landen in einer großen Wolke, der sogenannten Cloud. Wie es weitergeht, das ist die Frage. Was sage ich dem Klienten, dessen Schicksal von der Antwort abhängt?“

 

Mitarbeitern geht die Luft aus

Hilfestellung in enger Zusammenarbeit, das ist das Ziel des AWO Sozialservice.  Aber auch bei der Schuldner- und Insolvenzberatung ziehen sich Antrag und Bearbeitung oft über Monate hin. Die Klienten sind die Leidtragenden, aber auch den Mitarbeiter*innen geht die Luft aus.

 

„Wir wollen den Menschen in den Mittelpunkt unserer Arbeit stellen, aber dafür bleibt immer weniger Zeit“, sagt Stefanie Sonntag, Leitung des SozialService. Das sieht sie als einen Grund, warum viele Sozialarbeiter*innen an ihrem Job zweifeln. Sonntag: „Ohne Erfolgserlebnis macht die Arbeit keinen Spaß. Digitalisierung und anonyme Arbeitsprozesse fressen so viel Beratungszeit, dass für die umfassende Beratungsarbeit, die eigentlich erforderlich ist, nicht mehr viel Zeit bleibt.“

 

Gründe für die Überschuldung sind Niedrigeinkommen in einem immer teurer werdenden Landkreis. Aber auch Verlust der Arbeit oder Schicksalsschläge wie Krankheit oder Unfall führen in die Verschuldung. „Je früher die Unterstützung der Schuldnerberatung geholt wird, desto schneller kann der Mensch wieder schuldenfrei leben“, sagt Stefanie Sonntag.

 

Auch der AWO Betreuungsverein sieht immer mehr Menschen, die ihr Leben lang die Verantwortung für sich getragen haben und nun wegen der Digitalisierung und der immer komplizierteren Antragsflut den Überblick verlieren. Kommt noch eine Erkrankung hinzu, ist Unterstützung durch eine gesetzliche Betreuung notwendig.

 

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